Untitled [Krenek]
experimental short
9:15 min
2022
Das audiovisuelle Projekt Untitled [Krenek] ist eine poetische Annäherung an das Leben und Werk des österreichischen Komponisten Ernst Krenek. Ausgangspunkt des Projektes ist Kreneks 1956 entstandene elektroakustische Komposition Spiritus Intelligentiae Sanctus op.152 für Solo-Stimmen und Tonband. Krenek sprach in einem Interview über die Hintergründe dieser Komposition und erläuterte, dass es sich um eine künstlerische Annäherung an hypnagoge Wahrnehmungen handelt. Krenek sprach dabei von „knocking and rumbling noises“, die er beim Einschlafen häufig wahrnahm. Zu diesen Geräuschen kamen allmählich hohe gleitende Töne, die er mit einer Violine aus der Ferne verglich. Die damaligen Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung boten Krenek eine Möglichkeit sich kompositorisch mit diesen hypnagogen Phänomenen anzunähern zu
setzen und diese auf Tonband zu realisieren. Untitled [Krenek] greift diese hypnagogen Assoziationen Kreneks wieder auf und spannt eine traumhafte, unwirkliche Bild- und Klangwelt auf innerhalb derer erhaltenes Videomaterial von Krenek und Fragmente von Kreneks Musik fluktuieren.
Die visuelle Ebene von Untitled [Krenek] widmet sich dem Aspekt der Heimatlosigkeit, der in Kreneks Biografie eine prägende Rolle einnimmt. Als österreichischer Komponist mit böhmischen Wurzeln entwickelte Krenek zunächst eine tiefe Verbundenheit zu seinem Heimatland. Weitere kulturelle Einflüsse sammelte er im Zuge längerer Aufenthalte in der Schweiz und Paris bevor er zur Zeit des Austrofaschismus wieder nach Wien zurückkehrte. 1938 musste er jedoch aufgrund des Nationalsozialismus als „entarteter Künstler“ sein Heimatland erneut verlassen und emigrierte in die USA. Dort ging er in New York und Minnesota einer umfangreichen Lehrtätigkeit nach und nahm 1945 sogar die amerikanische Staatsbürgerschaft an. 1950 hielt sich Krenek für längere Zeit in Deutschland auf und brachte dort als Dirigent zahlreiche seiner Werke zur Aufführung. 1966 zog er nach Palm Springs/LA, wo er bis zum Ende seines Lebens mit seiner Frau Gladys Nordenstrom-Krenek lebte. In Interviews und eigenen Texten thematisierte Krenek laufend sein zerrissenes Dasein zwischen Österreich, Deutschland und den USA und schilderte seine
gefühlte Heimatlosigkeit als „Position zwischen den Stühlen“.
Untitled [Krenek] spürt dieser kulturellen Zwischenposition nach und verarbeitet alte Interview-Aufzeichnungen und erhaltene Aufnahmen von Krenek, seiner Frau Gladys und ihrem Haus in Palm Springs. Dieses Ausgangsmaterial, welches deutliche Alterungsspuren
und teils schlechte Bildqualität aufweist, wurde mit Hilfe von AI basierter Bildverarbeitungstechnik vergrößert und maskiert. Dabei wird der zu maskierende Bereich an einem Frame definiert und die AI errechnet die darauffolgenden Frames in diesem Bereich eigenständig. Im Zuge dieses Maskierungs-Prozesses entstehen jedoch laufend Fehler, welche allerdings besondere ästhetische Qualitäten aufweisen. Die so entstehenden Bilder erinnern stark an traumhafte Zustände. Die Silhouetten und Leerstellen in diesen surrealen Szenerien ähneln einer Eigenheit der Traumerinnerung, bei der sich viele Details bei genauerer Betrachtung nicht mehr eindeutig erschließen lassen oder sogar komplett fehlen. Das Resultat sind sich überlagernde Bilder aus Kreneks Leben, die ineinander verschwimmen, ohne sich jemals in einen greifbaren Moment zu stabilisieren. In diesem Meer aus fernen Erinnerungen schwebt Krenek selbst als vage Silhouette umher und wird mit Fragmenten seines Lebens konfrontiert.
Untitled [Krenek] greift die kompositorische Fluidität an Stilen in Krenkes Schaffen auf und bedient sich einer memorierenden Kompositionstechnik, die Krenek in seinem Streichquartett No. 8 op. 233 anwendete. In diesem Streichquartett erinnerte er sich an sein voriges Schaffen für diese Besetzung, das sowohl atonale, zwölftontechnische und neoklassizistische Werke umfasst und verarbeitete im Laufe des Stückes Zitate aus all seinen vorigen Streichquartetten. Die erhaltenen Skizzen dieses Streichquartetts lassen darauf schließen, dass es sich bei diesen Zitaten nicht nur um Ausschnitte, sondern vielmehr um Charakteristika handelt, die Krenek für das jeweilige Quartett als essenziell erachtete. Diese Essenzen seiner sieben Streichquartette fügen sich, ohne herauszustechen, in den Verlauf der Komposition ein und werden wie Station angepeilt und wieder verlassen. Im Sinne dieser Zitierweise sind in der Komposition von Untitled [Krenek] Ausschnitte aus allen acht Streichquartetten und Zitate sonstiger ausgewählten Werken Kreneks mit eingearbeitet. Der klangliche Grundton der Komposition orientiert sich an der klanglichen Eigenart von Spiritus Intelligentiae Sanctus und breitet eine klangliche Landschaft aus nostalgischen synthetischen Klängen und verfremdeten Stimmen aus in
deren Verlauf allmählich essenzielle Ausschnitte aus Kreneks Gesamtwerk mit eingewoben werden. Somit wird das stilübergreifende Schaffen von Ernst Krenek widergespiegelt und gleichzeitig als Teil eines fluiden kompositorischen Prozesses zu einer homogenen Klangmasse verschmolzen.
Das Zusammenspiel der beiden Ebenen von Untitled [Krenek] breitet einen verschwommenen Gedankenstrom von Bilder und Klängen aus Kreneks Leben aus, der Kreneks Geist durch eine mit Erinnerungen gespickte Traumsequenz gleiten lässt.
Das audiovisuelle Projekt Untitled [Krenek] entstand im Rahmen des vom Ernst Krenek Institut Krems gestifteten Covid-19-Sonderstipendiums ‘Ernst-Fall’.
Untitled [Krenek] wurde am 13. Juli 2023 am Ernte Festival in der Steiermark/Austria gezeigt.
Untitled [Krenek] wurde am 23. September 2023 am Darkroom Festival in Iklectik in London, UK gezeigt.
Untitled [Krenek] wurde am 14. Oktober 2023 im ORF Studio 3 in Innbruck im Rahmen des Festivals ZEITIMPULS 23 gezeigt.
Untitled [Krenek] wurde am 11. Mai 2024 beim Filmfestival art + film + vienna im Kino Breitenseer Lichtspiele in Wien gezeigt.
Untitled [Krenek] wurd am 16. Mai 2024 im Rahmen der Tagung "Das Kafkaeske in der Kunst" im Kesselhaus Kino in Krems gezeigt.
Visuelle Komposition:
Musikalische Komposition:
MandelBaum (aka Manuel Baumer)